Zum Inhalt springen

Titelblatt der Studie

Zusammenfassende Ausschnitte aus der Studie:

Produktions- und Marktpotenzialerhebung und - analyse für die Erzeugung, Verarbeitung und Vermarktung ökologischer Agrarerzeugnisse und Lebensmittel aus Baden-Württemberg 2025.

Hintergrund und Zielsetzung

Die Agrarpolitik in Baden-Württemberg verfolgt das Ziel, den Anteil der ökologisch bewirtschafteten Fläche bis 2030 auf 30 bis 40 Prozent zu steigern. Diese Entwicklung soll im Einklang mit der Nachfragesituation insbesondere auf den heimischen Absatzmärkten erfolgen, um Marktverwerfungen zu vermeiden und stabile, möglichst regionale Lieferketten zu etablieren. Weil die Bio-Lebensmittelwirtschaft Baden-Württembergs überregional vernetzt ist, werden auch die Perspektiven jenseits der Landesgrenzen betrachtet.

Der vorliegende Bericht bezieht sich auf eine Vorgängerstudie und nimmt auf die dort erhobenen Daten Bezug.

Die hier vorgelegte Sektor- und Marktanalyse soll aufzeigen, ob dieser Umstellrhythmus im Einklang mit dem Wachstum der Absatzmärkte und dem wirtschaftlichen Gefüge in Baden-Württemberg steht, welche Veränderungen der Sektor in den letzten Jahren durchlaufen hat und inwiefern Voraussetzungen für weiteres Wachstum gegeben sind.

Dadurch sollen Handlungsmöglichkeiten identifiziert werden, die die Ausbreitung des Bio-Landbaus in Baden-Württemberg weiter begünstigen.

Marktanalyse

Erzeugung und Vermarktung

Gemäß der LEL-Daten (Meldungen der Kontrollstellen) wurde im Jahr 2024 in BadenWürttemberg eine landwirtschaftliche Nutzfläche (LN) von 212.745 ha biologisch bewirtschaftet. Dies entspricht einem Anteil von ca. 15 % der Gesamt-LN in BadenWürttemberg und liegt deutlich über dem deutschlandweiten Durchschnitt von rund 11,5 % der Flächen. Die Bio-Fläche ist demnach zwischen 2019 und 2024 um rund 14 % gestiegen (AMI, 2025e; LEL Schwäbisch Gmünd, 2025).

Bio-Fläche in Baden-Württemberg 2019 und 2024 (ha)

Balkendiagramm zur Bio-Fläche 2019 & 2024Quelle: (AMI, 2020c, 2025e; BÖLW, 2025; LEL Schwäbisch Gmünd, 2024)


Dabei wird deutlich, dass die Dynamik in Baden-Württemberg der bundesdeutschen Entwicklung sehr ähnlich ist: klares Wachstum von 2013 bis 2020, dann Abschwächung der  Flächenzunahme.


 Bio- Flächenentwicklung: Baden-Württemberg und Deutschland im Vergleich (2010-2024)

Kurvenverlauf der Bio-Flächenentwicklung

Im Vergleich zum Jahr 2019 ist die Anzahl der Bio-Betriebe bis 2023 um knapp 7 % auf 9.676  Betriebe gesunken (AMI, 2025e; LEL Schwäbisch Gmünd, 2025). Diese Entwicklung setzt sich im Jahr 2024 fort mit einem Rückgang auf 9.083 Betriebe (BLE, 2025).

Hier ist allerdings die Besonderheit der zahlreichen Bio-Streuobstbetriebe in Baden-Württemberg zu berücksichtigen. Diese oft sehr kleinen Betriebe scheiden aus verschiedenen Gründen aus der Bio-Zertifizierung aus (Aufgabe, Generationswechsel) und verfälschen das Gesamtbild. Bereinigt um die reinen Streuobstbetriebe wächst die Zahl der Bio-Betriebe seit 2019 um rund 15 % (LEL Schwäbisch Gmünd, 2025).

Die nachfolgende Abbildung stellt die Entwicklung der Bio-Betriebszahlen im Vergleich  zwischen Deutschland und Baden-Württemberg dar und weist die Zahl der BioStreuobstbetriebe aus. Die Abbildung zeigt, dass sich die um die Bio-Streuobstbetriebe bereinigte Bio-Betriebszahl in Baden-Württemberg (blaue Linie) ähnlich entwickelt hat, wie die Bio-Betriebszahl in Deutschland (gelbe Linie): merkliches Wachstum bis 2021, seither geringes Wachstum bzw. Stagnation.

Bio- Betriebsentwicklung: Baden-Württemberg und Deutschland im Vergleich (2016-2024)


Quelle: (AMI, 2020, 2025)




Auch wenn diese Zahlen nicht direkt mit den Zahlen im Vorgängerbericht (Gider et al., 2021) verglichen werden können, weisen sie auf eine deutliche Zunahme der Bio-Verarbeitungsbetriebe in Baden-Württemberg hin.Während die Anzahl der Verarbeitungsbetriebe zwischen den Jahren 2010 und 2018 fast stagnierte, ist zwischen den Jahren 2018 und 2022 ein deutlicher Anstieg von 33 % an Verarbeitungsunternehmen zu verzeichnen (Abbildung 4). Die Anzahl der Handelsunternehmen ist hingegen zwischen 2022 und 2023 um fast 6 % zurückgegangen.



Entwicklung der verarbeitenden und importierenden Bio-Unternehmen in Baden-Württemberg (2002-2023)


Zwischenfazit: Die Bio-Erzeugung hat in Baden-Württemberg seit 2019 deutlich zugenommen, bleibt jedoch hinter den gesetzten Entwicklungszielen zurück. Besonders in etablierten Produktionszweigen wie Getreide und Milch fallen die Neuumstellungen auf biologische Wirtschaftsweise verhalten aus.

Positiv ist hingegen die Flächenentwicklung im Bereich der Eiweißpflanzen, einem besonders zukunftsträchtigen Segment. Hier positioniert sich die heimische Landwirtschaft strategisch vielversprechend. Sehr starke Zuwächse verzeichnet zudem die Veredelungswirtschaft, wodurch ein erhebliches Potenzial für regionale Wertschöpfung und die Schaffung von Arbeitsplätzen entsteht.

Auch der Verarbeitungssektor zeigt eine insgesamt positive Entwicklung.

Nachfrage

Die Nachfrage nach Bio-Produkten auf Ebene der Verbraucherinnen und Verbraucher weist insgesamt einen steigenden Trend auf (AMI, 2025).

Zwischen den Jahren 2013 und 2021 entwickelten sich die Bio-Marktanteile in Deutschland durchweg dynamisch (siehe Abbildung 66). Der Anteil stieg von rund 4,5 % im Jahr 2013 auf 7 % im Jahr 2021. In den Jahren 2020 und 2021 stiegen die Bio-Anteile um rund 1 % an (Abbildung 6). Das lässt darauf schließen, dass Verbraucherinnen und Verbraucher während der Corona-Pandemie bereit waren, mehr Geld für Bio-Produkte auszugeben. Auch die Pro-Kopf-Ausgaben für Bio-Produkte stiegen im Jahr 2021, was ebenfalls darauf hindeutet, dass während der Pandemie mehr Geld für Bio-Lebensmittel ausgegeben wurde (siehe Abbildung 7). Dass der Bio-Anteil im Jahr 2022 einen so deutlichen Einbruch erfuhr, ist auf den Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine und die damit einhergehende Inflationskrise zurückzuführen. Steigende Energie- und Produktionskosten führten zum einen zu steigenden Lebensmittelpreisen und zum anderen zu einer höheren Kostenbelastung für Verbraucherinnen und Verbraucher. Obwohl der Bio-Marktanteil im Jahr 2023 unterhalb des Anteils des Jahres 2021 lag, gaben die Deutschen im Durchschnitt etwas mehr für Bio-Lebensmittel aus. Das bestätigt einerseits die allgemein steigenden Lebensmittelkosten und weist andererseits auf eine weiterhin bestehende Zahlungsbereitschaft für Bio-Lebensmittel hin. Der Bio-Marktanteil erholte sich langsam und lag im Jahr 2024 mit knapp 6,5 % deutlich über dem Niveau vor der Corona-Pandemie. Auch die Pro-Kopf-Ausgaben erreichten mit 203,20 € einen neuen Höchststand.

Bio-Anteile am Lebensmittelmarkt & Pro-Kopf Ausgaben für Öko-Lebensmittel (2019-2024)

Quelle: (AMI, 2025)

Der Großteil aller Bio-Lebensmittel wird in Deutschland über den Lebensmitteleinzelhandel (inkl. Drogeriemärkte) verkauft (siehe folgende Abbildung). Während der Umsatzanteil von Bio-Lebensmitteln im Lebensmitteleinzelhandel seit 2020 gestiegen ist (68,7 % vs. 60,4 %), ist der Umsatz über den Naturkostfachhandel in derselben Periode zurückgegangen (19,2 % vs. 24,7 %) (AMI, 2022a).

Fachleute wiesen bereits früh darauf hin, dass die im Jahr 2019 entstandenen Kooperationen zwischen LIDL und Bioland sowie Demeter und Kaufland das Wachstum des Bio-Absatzes im Discounter steigern dürften. Obwohl Vollsortimenter mit 5,2 Mrd. € (rund 70 % Marktanteil) noch immer den größten Anteil am Bio-Markt halten, wächst der Umsatz der Discounter kontinuierlich (+ 7,4 %) und könnte in den kommenden Jahren mit dem der Vollsortimenter gleichziehen. Ein ebenfalls deutliches Wachstum ist im Vertriebskanal der Drogeriemärkte zu verzeichnen. Dieser wuchs im Vergleich zum Vorjahr um 19,6 % und erreichte damit im Jahr 2024 einen Marktanteil von 1,84 % (AMI, 2025a).

Die größten Einbußen verzeichnen die „sonstigen Einkaufsstätten“, zu denen Bäckereien, Metzgereien, Obst- und Gemüsefachgeschäfte, Wochenmärkte, Ab-Hof-Verkauf, Versandhandel, Tankstellen und Reformhäuser gehören. Hier gingen die Ausgaben der Verbraucherinnen und Verbraucher im Jahr 2024 um 2,5 % auf 2,06 Mrd. € zurück. 

Entwicklung der Absatzkanäle Lebensmitteleinzelhandel, Naturkostfachgeschäft, Drogeriemarkt, Discounter, Vollsortimenter und Sonstige Einkaufsstätten (2019-2024)


Die Zahlen zeigen: Das Wachstum des Bio-Marktes in Deutschland wurde in den vergangenen vier Jahren nicht durch den Naturkostfachhandel, sondern durch den Lebensmitteleinzelhandel (LEH)– zum Großteil durch den Discount – angetrieben. Vorher war der Naturkostfachhandel eine treibende Kraft. Durch diese beiden Treiber (LEH und Naturkostfachhandel) bleibt der Markt auf längere Sicht insgesamt stabil.


Lebensmittelkonsum in Baden-Württemberg

Um einen genaueren Einblick in die regionale Bio-Konsumlandschaft zu gewinnen, wurden im hier vorgestellten Projekt spezielle Daten zum Konsum frischer Bio-Lebensmittel der Haushalte in Baden-Württemberg erhoben (AMI, 2025b).

Das erste zentrale Ergebnis dieser Auswertungen zeigt, dass die Baden-Württembergerinnen und Baden-Württemberger rund 17 % mehr Bio konsumieren als der deutsche Durchschnitt (rund 240 €/Jahr im Vergleich zu ca. 203 €/Jahr – Daten aus 2024). 


Entsprechend liegen auch die Bio-Warenanteile am Gesamtmarkt in allen Produktgruppen über dem bundesweiten Durchschnitt. Besonders hoch ist demnach der Konsum vonBio-Brot und -Mehl sowie von Bio-Fleisch und Bio-Eiern. Der Konsum von Bio-Kartoffeln und Bio-Molkereiprodukten liegt hingegen näher am Bundesdurchschnitt.

Den höchsten Marktanteil am Lebensmittel-Gesamtmarkt der Bio-Produkte erreichen Eier, Milch und Milchprodukte sowie Obst und Gemüse. Bio-Fleisch erreicht derzeit nur geringe Marktanteile 2025; Schwein: ca. 3,2 %, Geflügel: ca. 3,4 %, Rind: ca. 8,9 % Bio-Anteil an der Gesamtverkaufsmenge 2024 (AMI, 2025)

Ein wesentlicher Grund für die vergleichsweise geringen Marktanteile bei Bio-Fleisch ist die große Preisdifferenz im Vergleich zu konventionellem Fleisch, insbesondere bei Geflügel. Die AMI verdeutlichte dies am Beispiel Geflügel: Im Jahr 2024 kostete 1 kg konventionelles Hähnchenschnitzel durchschnittlich 10,22 €, während für die Bio-Variante im Schnitt 21,21 € zu zahlen waren (AMI, 2025d). Das entspricht in etwa dem doppelten Preis.

Entwicklung von Gesamtumsatz und Marktanteil von Bio-Lebensmitteln in Baden-Württemberg (2019-2024)


Die Entwicklung von Verkaufsmengen und Absatzkanäle einzelner Produktgruppen wird in der Studie ausführlich betrachtet und veranschaulicht. Bezugnehmend auf Bedarfsanalysen der Gemeinschaftsverpflegung in Baden-Württemberg werden Anbaupotentiale der gängigsten Produktgruppen berechnet.

Zwischenfazit: Im Lebensmitteleinzelhandel sind Bio-Produkte allgegenwärtig, sie entwickeln sich dynamisch. Das Netz an Naturkostfachhandelsgeschäften und Direktvermarktungsbetrieben ist dicht, diese Vertriebskanäle verlieren aber an Dynamik. Rund zwei Drittel aller Bio-Lebensmittel werden über den Lebensmitteleinzelhandel und Discount verkauft, Tendenz steigend.

Bio-Lebensmittel werden in Baden-Württemberg stärker (+ 20%) nachgefragt als im Bundesdurchschnitt, die Einkaufsgewohnheiten (Wahl der Einkaufsstätten und Produkte) gleichen sich aber den bundesdeutschen Verhältnissen an. Dennoch bestehen höhere-Marktanteile von Naturkostfachhandel, Lebensmittelhandwerk und Direktvermarktung in einigen Produktbereichen weiter fort.

Für eine wertschöpfende Vermarktung bestehen also gute Voraussetzungen durch mehrere Standbeine im Absatz, aber hier gilt es Stärken (Direktvermarktung, Naturkostfachhandel) zu bewahren.

Der Bio-Markt ist insgesamt ausgeglichen bzw. von einem Nachfrageüberhang geprägt. Die meisten Produktbereiche zeigen ein Angebotsdefizit im Vergleich zur heimischen Nachfrage auf, trotz des kürzlich ausgedehnten Angebots in einigen Bereichen.

Die Gemeinschaftsverpflegung (als Teil des Außer-Haus-Marktes) kann dank besserer Datenlage neu bewertet werden: sie zeigt sich als potenziell signifikanter Absatzkanal, der beispielsweise bei einem Bio-Anteil von 30% in diesem Markt 10% und mehr der aktuellen Erzeugung aufnehmen könnte.

Umstellung und Ausweitung des Bio-Landbaus

Die mangelnde Dynamik der Umstellungen wurde bereits angesprochen. Auf Erzeugungsebene bremsen aus Fachleutesicht drei Ursachengruppen die Umstellung auf Biolandwirtschaft:

    • Bio-Wertschöpfung: Die Nachfrage-Krise hat zu Verunsicherung in der Landwirtschaft geführt, Übermengen (z. B. bei Bio-Dinkel) und sinkende oder stark schwankende Preise für Bio-Erzeugnisse sowie steigende Kosten für Betriebsmittel erschweren die Einschätzung der zukünftigen Wirtschaftlichkeit.
    • Erzeugungsprobleme: Der Klimawandel bringt Ernteschwankungen und neue Schaderreger mit sich. Auch Tierseuchen nehmen zu. Diesen verstärkten Risikenohne das Instrumentarium der konventionellen Landwirtschaft gegenüberzutreten, erscheint vielen Betrieben als zu unsicher.
    • Gute Marktbedingungen für konventionelle Produkte: Gerade im Milchbereich haben sich die konventionellen Preise stark verbessert und den Bio-Preisen angenähert, damit sinkt die relative wirtschaftliche Vorzüglichkeit des Biolandbaus erheblich.

Damit stellt sich die Frage nach den Perspektiven des Bio-Flächenwachstums. Künftig erscheint ein Wachstum bei den bereits umgestellten Betrieben wahrscheinlicher als durch die Umstellung neuer Betriebe. Bei den bestehenden Betrieben stellt sich außerdem die Frage des Generationswechsels: falls eine Hofübernahme innerhalb der Betriebsleiterfamilie nicht möglich ist, kann ein Zurückfallen der Bio-Flächen in die konventionelle Landwirtschaft nur verhindert werden, wenn

    • nahegelegene Bio-Betrieb die Flächen übernehmen, was jedoch häufig mit Wachstumsschritten verbunden ist, welche kapitalintensiv (z. B. Investitionen in Maschinen und Gebäude) sind oder ein neues Management erfordern (z. B. durch die Einstellung von Lohnarbeitskräften).
    • wenn die Betriebsleitung aus dem nicht-landwirtschaftlichen Bereich rekrutiert wird.


Entsprechend müsste die auf Umstellung ausgerichtete Beratung und Begleitung angepasst werden:

    • Beratung zur Kostensenkung und zur kostensparenden Produktion;
    • Beratung und Vernetzung von Bio-Betrieben zum Thema „Flächenwachstum“
    • Unterstützung beim Identifizieren potenzieller Betriebsleiterinnen und Betriebsleitern für die Hofnachfolge;
    • Intensivierung von Forschung und Entwicklung in Pflanzenbau und Pflanzenschutz.


Die finanzielle Förderung der Bio-Lebensmittelwirtschaft und der Bio-Landwirtschaft wird als insgesamt gut ausgestaltet beschrieben.


Marktentwicklung und Marktstrukturen

Die Akteurinnen und Akteure im Bio-Markt halten die Nachfrage-Krise für überwunden und beurteilen sie mittlerweile als „erfolgreichen Härtetest“. Die Strukturen und die vertikale Zusammenarbeit von Erzeugung und Handel hätten ihre Tragfähigkeit bewiesen. Die Praktiken in Verarbeitung und Vermarktung hätten sich weiter verbessert, ebenso wie die politisch-institutionellen Rahmenbedingungen. Der Dialog zwischen Wirtschaft und Politik sei während und nach der Krise hilfreich gewesen.

Auch wenn seit Ende der Krise die Absatzmengen wieder steigen und das Preistief teilweise überwunden ist, so bleiben doch drei Veränderungen bestehen:

    • Zweifel an der Stetigkeit der Nachfrage: wie wird sich die nächste makroökonomische Krise auf den Biomarkt auswirken?
    • Kostendruck: Erzeugung und Verarbeitung sind in der Kostenschere eingeklemmt, gestiegene Rohstoff-, Betriebsmittel- und Lohnkosten können kaum an den Handel weitergegeben werden, da auch dort ein erheblicher Preisdruck herrscht.
    • Downtrading: die Produktpalette hat sich auf Konsum-Ebene stärker in den Preiseinstiegsbereich (Handelsmarken) verschoben. Das erlaubt zwar, Mengen abzusetzen, bringt aber eine geringere Wertschöpfung mit sich.


Die Verarbeitungs- und Handelsstrukturen werden im Allgemeinen als positiv beschrieben, sie hätten sich auch in den letzten Jahren weiter verbessert. Von erfolgreichen Projekten mit dem regionalen konventionellen Lebensmitteleinzelhandel und dem Discount wird berichtet. Sorge bereiten allerdings die Vermarktungskanäle im Lebensmittel-Handwerk:

    •  Bäckereien würden im Rahmen des Struktur- und Generationswechsels immer häufiger von großen Filialketten übernommen. Diese Ketten führen die oft über Jahrzehnte aufgebaute regionale Partnerschaft zur Beschaffung mit Bio-Mehlen nicht fort. Entweder hätten sie kein bzw. nur ein sehr geringes Bio-Angebot, oder sie würden ihren Rohstoffbezug überregional / international organisieren und fielen dadurch als Absatzpartner für die regionale Bio-Getreideerzeugung weg.
    • Metzgereien / Fleischereien stünden in einem rasanten Strukturwandel, verschärft durch den Generationswechsel. In diesem Bereich wäre es mittlerweile fast unmöglich, neue, auf Dauer angelegte Vermarktungsprojekte aufzusetzen und viele der bestehenden Projekte seien in Gefahr.

Damit stehen zwei traditionell bedeutsame Vermarktungswege mit potenziell hoher Wertschöpfung vor großen Herausforderungen. Hinzu kommt, dass auch im Naturkostfachhandel und in der Direktvermarktung weniger Dynamik festzustellen sei als in vergangenen Jahren. Diese Marktkanäle wären die Verlierer der Inflationskrise.

In der Außer-Haus-Verpflegung eröffnen sich neue Chancen, die durch politische Impulse befördert werden. Mittelfristig wird eher eine Angebotsknappheit als eine Überproduktion erwartet, da Preissignale für die Umstellungen auch ökologische Landwirtschaft fehlen und der Handel Preisobergrenzen setzt.

Die Fachleute aus der baden-württembergischen Land- und Lebensmittelwirtschaft stehen einer Ausdehnung des Ökolandbaus weiterhin aktiv und zuversichtlich gegenüber.

Die Landeskantinenrichtlinie (Verwaltungsvorschrift Kantine) wird positiv bewertet, ist aber noch mit Schwächen behaftet: Der Zuschuss von 1 € reicht nicht aus, Umsetzungszeiträume sind zu lang, Verbindlichkeit und Kontrolle fehlen. In Kantinen selbst ist die Bekanntheit noch gering, teils wird „bio“ fälschlich mit „regional“ gleichgesetzt.

Die Bio-Musterregionen sind bekannt und geschätzt, doch profitieren bisher eher kleinere Küchen; häufig stehen die Interessen der Erzeuger stärker im Vordergrund. Das Biozeichen Baden-Württemberg genießt Vertrauen, wird aber wegen hoher Bürokratie und einer zu engen Landesgrenze kritisiert.

RIBE, RiWert und RiZert sind wenig bekannt und bieten zu geringe Anreize. Sehr positiv wird die Zusammenarbeit mit Biostädten und Verbänden gesehen.


Die Marktentwicklung ist stabil ohne Rückgänge, allerdings einstellig im Wachstum und noch hinter dem allgemeinen Lebensmittelmarkt. Besonders dynamisch sind Betriebsgastronomie, Pflege und Bildung. Treiber sind politische Vorgaben, Selbstverpflichtungen, regionale Schwerpunkte, sinkender Preisabstand und besser aufgestellter Großhandel. Bremsend wirken Kaufkraftschwund und allgemeine Krisen, dennoch gibt es viele erfolgreiche Leuchttürme.

Die Potenziale sind insgesamt hoch: Betriebsgastronomie als „Ort des Zusammenkommens“, verknüpft mit Gesundheit, vegetarisch/vegan und Planetary Health. Schulen bieten Chancen durch das Ganztagsfördergesetz und Bio-Tiefkühlprodukte, Pflegeeinrichtungen durch den demografischen Wandel. Größte Hürden bleiben Produktverfügbarkeit und Kosten. Gefordert werden verbindliche Bio-Ziele, Zuschüsse, Umstellungsberatung, flexiblere Regionaldefinition und ganzjährige Kommunikation. Entscheidend sei die Küche als Hebel der Veränderung – mit dem Leitsatz: „10 % Bio kann jeder!“

 Bio-Anbaufläche und Bio-Markts: Entwicklungsszenarien aus 2020 und aktueller Stand 

Im Jahr 2020 wurde für die Baden-Württembergische Bio-Landwirtschaft die Umstellungsdynamik der davor liegenden Jahre fortgeschrieben. Nach diesem Szenario wäre das Ziel „30% Bio-Fläche“ 2 Jahre nach dem Zieljahr, also im Jahr 2032 erreicht worden. Dieses Szenario zeigt folgende Abbildung.

Bio-Flächen-Szenario bis 2036, auf Basis der Entwicklung 2016-2019.

Quelle: Eigene Zusammenstellung auf Basis der Projektergebnisse


Die tatsächliche Entwicklung bleibt hinter dem Szenario zurück. Zwar hat die Bio-Fläche seit 2019 zugenommen, es fehlen aber rund 30.000 ha, um im Zielkorridor zu bleiben.



 Szenarien für die Entwicklung des Bio-Markts

Quelle: Eigene Zusammenstellung auf Basis der Projektergebnisse und FiBL Statistics 2020

Die tatsächliche Entwicklung war sehr überraschend. Zuerst hat sich der Markt mit 22 % Wachstum sogar schneller entwickelt als im optimistischsten Szenario. Diese Entwicklung ist auf die Corona-Sondersituation zurückzuführen. Sie wurde in der Folge durch die multifaktorielle Nachfragekrise rasch nach unten korrigiert. Aktuell liegt die Marktentwicklung noch innerhalb Zielkorridors der 2020er-Szenarien.

Es ist festzuhalten, dass sich die Bio-Nachfrage besser entwickelt als das Bio-Angebot. In allen Produktbereichen ergeben sich mehr oder weniger ausgeprägte Nachfrageüberhänge.

Strategische Eckpunkt und Handlungsempfehlungen.

Um die Umstellung auf Bio erneut zu befördern, sind Anpassungen und Anstrengungen der Wirtschaft und der öffentlichen Hand erforderlich. Dabei ist der Wirkungskreis zu erweitern und Kräfte aus der allgemeinen Wirtschaft (Wirtschaftsministerium, konventionelle Branchenverbände, das Bankenwesen, Bildungs- und Ausbildungs-Einrichtungen, etc.) sind in Planung und Umsetzung einzubeziehen.

Die öffentliche Hand schafft durch Förderprogramme, Beratung und Begleitung der Landwirtschaft bereits gute Bedingungen für den biologischen Landbau (Umstellung und Beibehaltung). Weitere wirksame Hebel öffentlichen Handelns liegen in der Kommunikation und in der Förderung von Bio-Lebensmitteln in der AHV.

Wirtschaftsakteure können durch intensivere Nutzung der bereits bestehenden und gut funktionierenden Netzwerke noch mehr Verbindungen zur (Bio-)Erzeugung eingehen. Hier sind insbesondere Unternehmen aus den Bereichen Verarbeitung und Handel gefragt, die bisher noch keine oder kaum Bio-Waren verarbeiten / handeln.

Nach wie vor liegt viel Potenzial in der Kombination von typisch baden-württembergischen Stärken, wie der mittelständisch geprägten und innovationsfreudigen Wirtschaft, der Authentizität und selbstbewussten Kundenkommunikation sowie der Spitzenqualität der heimischen Bio-Produktion. Das wird z. B. in der Veredelungswirtschaft auch sehr gut genutzt, in vertikaler Zusammenarbeit mit dem Handel. Ähnliches kann im Bereich der Eiweißpflanzen- / Hülsenfrüchte noch weiter ausgebaut werden, in diesem innovativen Sektor setzt Baden-Württembergs Bio-Wirtschaft bereits Zeichen.

Im mittelständischen Ernährungshandwerk besteht hier eine Herausforderung, denn Bäckereien und Fleischereien verlieren an Marktbedeutung. Damit dieser für die Wertschöpfung in authentischen Bio-Vermarktungsketten wichtige Kanal entgegen den Konzentrationsprozessen und dem Strukturwandel weiterhin besteht, ist eine eigene Strategie erforderlich. Ähnliches gilt für den Naturkostfachhandel. Hier sind die wirtschaftlichen Akteure selbst verantwortlich, sich proaktiv und zukunftsfähig aufzustellen.Die optimierte Vernetzung von regionaler Landwirtschaft und regionaler Verarbeitung mit dem Handel und das diesbezügliche Engagement der Unternehmen ist die Voraussetzung für weiteres Wachstum, für Marktstabilität und regionale Wertschöpfung. Mehr Bio bedeutet, dass eine deutliche Öffnung über den Bio-Sektor hinaus erforderlich ist.


Logo des MLRs

Jetzt komme es darauf an, dass weiterhin alle Akteure an einem Strang ziehen. „Die in der Studie vorgeschlagenen Maßnahmen zur weiteren Stärkung des Ökolandbaus in Baden-Württemberg richteten sich dabei nicht nur an die Politik und die Verwaltung. Vielmehr sind auch die Verbände und die ökologische Agrar- und Ernährungswirtschaft, sowie weitere interessierte Marktakteure, gefragt, an der Umsetzung von Maßnahmen und somit an der Weiterentwicklung des Ökolandbaus in Baden-Württemberg mitzuwirken"

Minister für Ernährung, Ländlichen Raum und Verbraucherschutz, Peter Hauk MdL,